Sex, Leidenschaft und Alte Meister

Sex, Leidenschaft und Alte Meister
Eine Ausstellung der Dresdner Gemäldegalerie in Wien zeigt: Es müssen nicht immer große Namen sein.

Himmel, welch Reichtum!“, schrieb Franz Grillparzer, als er auf seiner Deutschlandreise im Jahr 1826 die Dresdner Gemäldegalerie besuchte. „Ich dachte immer, die Gemäldesammlung in Wien wäre bedeutend, aber was ist das gegen diese.“

Wenn die genannte Galerie, deren Räumlichkeiten gerade wegen Renovierung teilweise geschlossen sind, nun ein Gastspiel in Wien gibt, dann sollte man sich im Kunsthistorischen Museum also lieber warm anziehen, möchte man meinen.

Sex, Leidenschaft und Alte Meister
Ganz so ist es jedoch nicht: Die großen Publikumsmagneten des Dresdner Museums wie Raffaels „Sixtinische Madonna“ – die mit den süßen Engerln am unteren Bildrand – werden weiterhin vor Ort gebraucht, viele andere Werke der großen Alten Meister dürfen aus konservatorischen Gründen nicht reisen. Und so sind es eher unbekannte Künstler und Werke, die die Highlights des Dresdner Gastspiels in Wien ausmachen.

Die Schau wirft damit ganz nebenbei auch die Frage auf, ob Ausstellungen klassischer Kunst wirklich immer mit Best-Of-Greatest-Hits-Titeln wie „Rembrandt, Tizian, Bellotto“ (wie im vorliegenden Fall) beworben werden müssen – oder ob sie auch anders funktionieren.

Repräsentation

Die Dresdner Sammlung entstand – wie auch die zeitgleich aufgebaute, einst im Winterpalais beheimatete Sammlung des Prinzen Eugen – aus einem fürstlichen Repräsentationsbedürfnis. August der Starke (1670-1733) und sein Sohn wollten Geschmack und Kennerschaft demonstrieren und zugleich ihren Herrschaftsanspruch in der Kunst wiederfinden. Als eines der ersten großen öffentlichen Museen Europas war die Galerie auch Ort des Diskurses – hier entschied sich, welche Kunst gut und wichtig war.

Gerade dieser verbindliche Bildungskanon bröckelt nun aber schon seit geraumer Zeit – Tizian und Rembrandt mögen noch allseits bekannte Namen sein, bei Bellotto wird die Luft schon dünn. Der Kanon wird nur durch die „Must-See“-Rhetorik des Museumsmarketings fortgeschrieben – wo Tizian draufsteht, muss man hin. Als Besucher findet man sich dann als kleiner staunender Grillparzer im Museum wieder.

Andere Zugänge

Dabei ist es nicht so, dass die Ausstellung im Winterpalais keine anderen Zugänge andenkt. So ist der Eingangsraum der „höfischen Kultur“ gewidmet und zeigt die Menschen, die auf ihren Bildungsreisen („Grand Tour“) zusammenkauften, was sie konnten; ein weiterer Raum widmet sich der Kunst der Kopie – wo kein echter Raffael verfügbar war, durfte es auch ein nachgemalter sein. Just eine solche Nachempfindung führt uns im nächsten Saal tief in die Doppelmoral des Barock: Das Bild „Die reuige Magdalena“, eine Kopie nach Johann Liss, gibt vor, Tugendhaftigkeit abzubilden, doch die Frau, deren Brüste nur so aus dem Hemd quellen, wirft dem Betrachter einen Blick entgegen, der als „lüstern“ nur unzureichend beschrieben ist.

Sex, Leidenschaft, verwöhnte „Rich Kids“ auf Shoppingtour, das zeitlose Bedürfnis nach Repräsentation und sozialer Abgrenzung: Es gibt viele Themen, bei denen die Bildwelt der Alten Meister den Anschluss an das Heute schafft, und man kann gar nicht oft genug betonen, wie lohnend und lustvoll die Auseinandersetzung damit ist.

Dem Team der Dresdner Gemäldegalerie, das Auswahl und Aufteilung der Gemälde bestimmte, ist wenig vorzuwerfen: Natürlich wollte man Werbung für das Stammhaus und dessen teilweise Wiedereröffnung im Herbst machen, und natürlich „funktioniert“ die Schau in den barocken Räumen des Winterpalais gut. Doch wird das alte Muster von Bildungskanon, Repräsentation und Ehrfurcht vor der Kunst hier eher reproduziert als kritisch befragt: Eine wirklich frische, freche Auseinandersetzung mit Alten Meistern, das wäre doch mal was.

Die Schau „Rembrandt, Tizian, Bellotto – Geist und Glanz der Dresdner Gemäldegalerie“ ist bis 8. 11. im Belvedere-Winterpalais, Himmelpfortgasse 8, 1010 Wien, zu sehen. Die Gemäldegalerie Alter Meister in der Sempergalerie Dresden ist bis 13. 9. eingeschränkt zugänglich. Von 14.9. bis 29.10. hat die ganze Sammlung geschlossen, dann wird der renovierte Teil eröffnet.

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